Die positive Kraft der Regel

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Frauen leben im Gegensatz zu Männern in einem zyklischen Rhythmus, der in körperlichen Veränderungen sichtbar wird. In einer Welt, in der der Mann als Prototyp des Menschen gilt,  wird die weibliche Zyklizität zur pathologischen Abweichung von der männlichen Norm. Aktuelle Bestrebungen der Medizin, die Menstruation mittels Hormonen abzuschaffen, dienen dem Motiv, dieses angebliche Defizit zu beheben. Unter dem Einfluss von Frauenheilkunde und Fitnesskult, die männliche Werte als allgemeine Maßstäbe vorgeben, entwickeln Frauen selbst Befremden gegenüber ihren zyklischen Veränderungen. Das betrifft in besonderem Ausmaß junge Frauen, die sich noch mitten in der Entwicklung der persönlichen Identität und dem Aufbau von Autonomie befinden. Ab etwa dem 30. Lebensjahr verbessert sich im Allgemeinen die Einstellung zur Menstruation. Erst dann beginnen viele Frauen ihrem monatlichen Zyklus positive Seiten abzugewinnen. Wenn es gelingt, über die männliche Sichtweise hinweg eine eigene Perspektive auf die Eigenheiten weiblicher Körperlichkeit einzunehmen, stellt sich die Zyklizität als Stärke dar.  

Im Unterschied zu Männern ist Frauen von Natur aus ein sichtbares Zeichen des Erwachsenwerdens und ihrer Fruchtbarkeit gegeben. EthnologInnen haben herausgefunden, dass in traditionellen Kulturen Bräuche existieren, in denen der Neid der Männer auf die Menstruation der Frauen zum Ausdruck kommt. Bei verschiedenen Stämmen in Südostasien, Australien, Südamerika, Südindien oder Papua-Neuguinea ist die sogenannte „Männermenstruation“, die symbolische Nachahmung der weiblichen Blutung, aber auch das symbolische Gebären noch heute verbreitet. Die Männer glauben, dass sie dadurch Zugang zu einer weiblich-göttlichen Kraft bekommen.

Die Blutung wird häufig durch Aufritzen des Penis vollzogen, aber auch Körperteile wie Nase, Zunge, Finger oder Arm können stellvertretend für den Penis zum Bluten gebracht werden. Bei manchen Stammesgemeinschaften wie den Ost-Tukano am oberen Amazonas bemalen sich die Männer mit roter Farbe und durchleben symbolisch Veränderung und Erneuerung. In sehr partriarchal geprägten Gesellschaften wie z.B. den Wogeo in Papua-Neuguinea ziehen sich die Männer von der Gemeinschaft zurück um ihre Menstruationsrituale im Geheimen zu praktizieren.  

Diese Bräuche weisen darauf hin, dass die Menstruation mit einer besonderen Macht in Verbindung gebracht wird. MatriarchatsforscherInnen haben zahlreiche Indizien dafür gefunden, dass die Menstruation in früher Zeit als heilig galt. Noch in der Neuzeit wurden ihr magische Kräfte zugeschrieben, die Frauen der Überlieferung nach sowohl auf heilsame, als auch auf schädigende Weise einsetzen können. Zu allen Zeiten hat die Menstruation den Männern Angst eingejagt und wurde daher mit Tabus und Restriktionen belegt.  

Die im Zuge der Zivilisierung zunehmende Triebkontrolle und die Abwertung weiblicher Körperlichkeit in der patriarchalischen Gesellschaft haben dazu geführt, dass Frauen ihre Körper als fremd empfinden. Die weite Verbreitung kosmetisch chirurgischer Eingriffe, von Essstörungen, aber auch von Menstruationsbeschwerden sind Symptome dieser Entfremdung. Dasselbe gilt für den zunehmend auch von Frauen befürworteten Ruf der Medizin, die Menstruation überhaupt abzuschaffen. Expertinnen für Frauengesundheit regen dazu an, die psychophysischen Vorgänge im Verlauf des Zyklus zu beobachten. Dadurch werde es Frauen möglich, Zugang zu den Kräften und Potentialen ihrer weiblichen Natur zu finden. Die moderne Leistungsgesellschaft macht es allerdings schwierig, auf den persönlichen Biorhythmus bzw. die Bedürfnisse der unterschiedlichen Phasen im Monatszyklus zu achten.  

Manche Frauen schätzen die allmonatlichen Vorgänge in ihrem Körper dafür, dass sie ihnen Anhaltspunkte für eine positive Selbstwahrnehmung bieten. Mit Hilfe der zyklischen Veränderungen des Zervixschleims und der körperlichen Anzeichen des Eisprungs ist es möglich den Status im Zyklus festzustellen. Die zyklischen Rhythmen zeigen Frauen, dass sie sich in einem immer wieder kehrenden lebendigen Prozess befinden. Zyklizität bedeutet auch, nicht in einer linearen Entwicklung auf das Ende zuzusteuern, sondern sich immer wieder zu erneuern und von vorne anzufangen. Zwischen zwei Menstruationen findet in den Organen ein Aufbau statt, die Monatsblutung ist die Phase der Selbstreinigung, in der das Alte abgestoßen wird, und gleichzeitig der Neubeginn der nächsten Aufbauphase. Das regelmäßige Einsetzen der Menstruation ist auch Zeichen dafür, noch mitten im Leben zu stehen, was Frauen gegen das Ende ihrer fruchtbaren Zeit hin zunehmend positiver empfinden. Nicht selten beginnen Frauen ihren Zyklus erst dann zu schätzen, wenn sie ihn, etwa aufgrund hormoneller Antikonzeptiva, nicht mehr haben. Selbst wenn die Menstruation für sie mit Schmerzen verbunden war, wünschen sich dann viele den natürlichen Monatszyklus wieder zurück.  

Vor allem Frauen über 30 Jahren machen die Erfahrung, dass mit den monatlichen Vorgängen in ihrem Körper psychische Veränderungen einhergehen. Miranda Gray stellt in ihrem Buch „Roter Mond“ ein sogenanntes „Zyklus-Energiemodell“ vor, das auf ihrer Theorie beruht, dass den verschiedenen Zyklusphasen jeweils eine spezifische psychische Verfasstheit entspricht. Im Zeitraum vom Ende der Blutung bis zum Eisprung sind Frauen demnach eher nach außen gerichtet und gesellig, Entschlusskraft und Konzentrationsfähigkeit nehmen zu. In der Zeit des Eisprungs stehen hingegen Verantwortung, Fürsorge und Zuwendung gegenüber anderen Menschen im Vordergrund. In der dritten Phase, zwischen Eisprung und Blutung steigt das Interesse an Innenschau und Selbstreflexion. Die Menstruation schließlich ist Gray zufolge die Zeit des Rückzugs, der Stärkung der intuitiven und sinnlichen Wahrnehmung, des Schlafens und Träumens und der Spiritualität. Ein ausgewogenes Verhältnis dieser Energien hält Gray für wichtig, um zu einer inneren Harmonie zu gelangen.

Solchen Modellen haftet ein gewisser Determinismus an, der nahe legt, dass die Frau in erster Linie von ihrer Natur und ihrem Körper bestimmt sei. Der Einfluss anderer Faktoren, wie das soziale Umfeld, die individuelle Geschichte, kulturell-religiöse Prägungen, etc. geraten dabei aus dem Blickfeld. Auch soll hier keineswegs einer Normierung das Wort gesprochen werden, das Modell kann aber als Anregung dienen, sich selber, den eigenen Energielevel und die körperliche und psychisch-seelische Verfassung in Verbindung mit dem Monatszyklus zu beobachten und sich bei Planung und Gestaltung des Alltags daran zu orientieren.  

Abseits starrer Muster in Bezug auf Körper-Seele Zusammenhänge berichten viele Frauen, dass sie in der Zeit um die Blutung herum empfindsamer sind als sonst – manche eher während der Menstruation, andere in der Zeit davor. Unter der im Arbeitsalltag geltenden Prämisse, dass man jeden Tag gleich sein muss, wird jeder Stimmungswechsel negativ bewertet, als „Unpässlichkeit“ oder „Launenhaftigkeit“ belächelt. Dadurch dass Menstruierende nach innen wie nach außen, körperlich wie seelisch offener sind, sind sie wohl verletzlicher, haben andererseits aber die Fähigkeit, sich selbst und ihre Beziehungen zum sozialen Umfeld sozusagen mit geschärften Sinnen wahrzunehmen. Dass diese Fähigkeit nicht gerade im Interesse jener gesellschaftlichen Kräfte liegt, die von der Ausbeutung der Frauen profitieren, liegt auf der Hand.  

Die Menstruation ist die Zeit der inneren Wandlung. Einschlägige Frauengesundheitsexpertinnen haben eine Reihe von Ritualen entwickelt, die helfen sollen, diese Wandlung und Erneuerung zu vollziehen. Sie leiten Menstruierende dazu an, ihr verfeinertes Gespür und ihre intuitiven Kräfte dafür zu nutzen, ihr Leben jeden Monat wiederum mit ihren Bedürfnissen abzustimmen und Altes, Verbrauchtes zu verabschieden um Neues entstehen zu lassen (siehe dazu: Pröll 2004). 

Für manche Frauen ist das Ausscheiden des mit Schleimhautteilen vermischten Blutes eine kathartische Erfahrung. Mit diesem Vorgang ist häufig das Gefühl des Ins‑Fließen‑Kommens verbunden. Frauen machen die Erfahrung, dass in dieser Zeit ihr sexuelles Begehren gesteigert ist und dass sie Sexualität besonders intensiv erleben. Die Regelblutung selbst kann erregende und lustvolle Empfindungen auslösen. Kulturelle Deutungsmuster kanalisieren das Erlebte jedoch sofort, bevor es noch selbst mit eigenen Wahrnehmungen, Interpretationen und Phantasien ausgestattet werden kann. Negative Begriffe wie „Unwohlsein” rufen die entsprechenden Assoziationen und Abwehrreaktionen auf. So wird Erotik und Sinnlichkeit in Leiden verkehrt.  

Innerhalb des herrschenden Geschlechterverhältnisses ist dem Leiden an der Menstruation ein „sekundärer Krankheitsgewinn“ zu eigen. Dort, wo Frauen daran gehindert werden, ihre eigene Sexualität auszuleben, ja sie überhaupt kennen zu lernen, wo ihr Körper den sexuellen Bedürfnissen des Mannes unterworfen ist, wo Frauen Sexualität ihr Leben lang nur als Last und Pflicht erfahren, dort erfüllt die Menstruation den Nutzen, die Frauen wenigstens für ein paar Tage von den sexuellen Ansprüchen des Mannes zu befreien. Auch für Frauen, die ununterbrochen den Anforderungen von Beruf und Familie ausgesetzt sind, dient die Menstruation als Rechfertigung, sich zurückzuziehen und sich den Ansprüchen der anderen zu verweigern.  

Nicht zuletzt wird das Eintreten der Monatsblutung von Frauen sehr häufig deswegen begrüßt, weil es sie darin bestätigt, erfolgreich verhütet und eine Schwangerschaft vermieden zu haben. Während der Monatblutung selbst kann es zwar prinzipiell auch zu einer Befruchtung kommen, dennoch sind für viele Frauen, die einen regelmäßigen, nicht außergewöhnlich kurzen Zyklus haben, „ihre Tage” die Zeit der unbeschwerten Sexualität, in der sie nicht an Verhütung denken zu müssen, in der sie endlich einmal richtig loslassen können.

Zyklus und Menstruation sind in unserer durchrationalisierten Leistungsgesellschaft ein Relikt des Nicht-Ökonomischen. In einer Zeit, in der religiöse Feiertage an Verbindlichkeit verloren haben und die von den SozialistInnen des 19. und 20. Jhs. erkämpften Arbeitsschutzbestimmungen im Interesse des wirtschaftlichen Profitstrebens zunehmend aufgeweicht werden, ist die Menstruation eine gegenläufige Kraft. In ihr bietet sich die Chance, sich für einige Tage oder Stunden aus dem Alltagstrott auszuklinken, ein paar Augenblicke lang innezuhalten, zu sich zu kommen und Kräfte aufzutanken. Ist es möglich, diese Chance zu nutzen, kann die Menstruation im Gegensatz zu ihrem Image der Krankheit und der Schwäche Kraftquelle sein.  

 

Zum Weiterlesen:

Gray, Miranda (1996): Roter Mond, München

Pröll, Gabriele (2004): Das Geheimnis der Menstruation, München

 

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