Soziologie der Menstruation

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Das Tabu der Menstruation

Ekel und Scham

Menstruation und Geschlechtsidentität

Die Pathologisierung des Weiblichen

Literatur  

 

Das Tabu der Menstruation

 

In fast allen bekannten Gesellschaften ist die Menstruation mit einem Tabu belegt. Vorschriften, die dazu dienen den Kontakt mit dem Menstruationsblut zu vermeiden, regeln das Verhalten der menstruierenden Frauen sowie den Umgang anderer mit diesen. Nicht immer ist dabei eindeutig, welche Bewertungen mit diesen Berührungsverboten verbunden sind. 

Gegenstand eines Tabus sind Personen, Sachen oder Lebensbereiche, die etwas Besonderes darstellen, also im Gegensatz zum Gewöhnlichen, Alltäglichen und Profanen stehen, sei es dass sie als heilig oder als unrein gelten und Ehrfurcht oder Angst einflößen. Das Schweigen erfüllt die Funktion, fundamentale gesellschaftliche Wahrheiten der Kritik zu entziehen und dadurch die bestehende Ordnung zu sichern (Winterer 1992, 11 ff.). In den Empfindungen, die der Menstruation entgegengebracht werden, schlägt sich die Zweiseitigkeit des Tabus zwischen Ehrfurcht und Abstoßung nieder. Das Berührungsverbot bildet ein Kontakthindernis und verhindert Grenzüberschreitungen. In sehr vielen Kulturen ist in der Zeit der Menstruation die Sphäre von Mann und Frau am strengsten getrennt. Fast überall (sowohl in industriellen als auch in nichtindustriellen Gesellschaften) existiert das Verbot des Geschlechtverkehrs (Winterer 1992, 43 ff.). Die detaillierten, zwanghaft anmutenden Verhaltensvorschriften weisen darauf hin, dass es sich hierbei um die Abwehr einer als bedrohlich empfundenen Lebensäußerung handelt. 

Für menstruierende Hindu-Frauen sind z.B. folgende Absonderungsrituale überliefert: „Sobald die Menstruation eingetreten ist, soll die Frau darüber belehrt werden, was sie zu tun und zu lassen hat. Sie darf vor Ablauf der drei Nächte nicht baden, ihre Kleider nicht waschen sich nicht salben, nicht kämmen, nicht die Augen salben, nicht die Zähne putzen, nicht die Nägel schneiden, nicht spinnen, noch Seide drehen. Sie darf nur aus der hohlen Hand oder aus einem ungebrannten Gefäß trinken. Sie soll auf dem Boden liegen und bei Tage nicht schlafen, sie darf kein Feuer berühren, kein Fleisch essen, nicht die Planeten anschauen, nicht lachen, sich nicht im Haushalt betätigen und nicht herumlaufen. Der Mann darf nicht mir ihr zusammensitzen und nicht mit ihr Speisen essen.“ (Winternitz 1920, 92) An diesem Beispiel zeigt sich, dass es offenbar nicht nur darum geht, den Kontakt mit dem Blut zu vermeiden, sondern darüber hinaus die Frau in allen ihren Lebensäußerungen und Aktivitäten restriktiven Beschneidungen zu unterwerfen. Die Unberührbarkeit der Menstruierenden ist auch in der jüdisch-christlichen Tradition verankert. So heißt es in der Bibel: „Wenn aber eine Frau einen Ausfluß hat, und zwar ihren gewöhnlichen Blutfluß, so soll ihre Unreinigkeit 7 Tage lang dauern und jeder, der sie während dieser Zeit berührt, soll bis zum Abend unrein sein. Alles, worauf sie während ihrer Unreinigkeit liegt, wird unrein, ebenso alles, worauf sie sitzt; und jeder, der ihr Lager berührt, muß seine Kleider waschen und ein Wasserbad nehmen und ist bis zum Abend unrein. Und jeder, der irgendein Gerät berührt, worauf sie gesessen hat, muß seine Kleider waschen und ein Wasserbad nehmen und ist bis zum Abend unrein. Auch wenn einer etwas berührt, was sich auf ihrem Lager oder auf dem Geräte befindet, so ist er bis zum Abend unrein. Und wenn etwa ein Mann ihr beiwohnt und etwas von ihrer Unreinigkeit an ihn kommt, so ist er 7 Tage lang unrein und jedes Lager, auf dem er liegt, wird unrein.“ (Bibel, 3. Buch Mose, Kp.15, 19-24) Das Neue Testament hält am Grundsatz der Unreinheit der Menstruierenden fest. Die Heiligkeit von Maria beinhaltet die Vorstellung, dass sie keine Menstruation gehabt habe. Der heilige Geist ist heilig, weil er reiner, körperloser Geist ist. Das was dem Mann (aber auch der Frau) an der Menstruation unheimlich ist, ist die Sinnlichkeit des Körpers und die unberechenbare Natur. Umso mehr als der menstruierenden Frau sexuelle Aktivität nachgesagt wird, stellt sie eine Bedrohung für die an Dominanz gebundene männliche Identität dar.  

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Ekel und Scham  

Die strenge Reglementierung der Menstruierenden entspringt dem männlichen Bedürfnis nach Abgrenzung gegen das Weibliche und beruht auf einer bestimmten Definition der Geschlechterrollen: Die Kultur des Mannes kontrolliert die Natur der Frau. Die Sicht der Frauen und ihr Erleben wird dabei vernachlässigt. Aus männlicher Perspektive ist die Menstruation etwas, das nicht zum Eigenen gehört und von dem man sich möglichst frei halten muss. Aber sowohl Frauen als auch Männer empfinden das Menstruationsblut als schmutzig und ekelerregend.  

Als Schmutz wird alles eingeordnet, was die Abgegrenztheit des Individuums durchbricht, was als nicht dazugehörig empfunden wird, was das Für-Sich-Sein stört. Ekel geht vor allem von schleimigen und klebrigen Substanzen aus. Das Erleben des Ekels wurzelt in der Aufhebung der Distanz und der Verletzung der körperlichen Integrität. Ekel ist nach Freud die Abwehr gegen den Sexualtrieb. Kulturell unerwünschte Formen der Sexualität wie z.B. die Analerotik oder der Inzest sind daher am stärksten mit Ekel besetzt. Die Kultur verlangt die Verschleierung der menschlichen Kreatürlichkeit, die sich in den organischen Funktionen, den Exkrementen, den Gerüchen und den Körpersäften manifestiert. Ekel und Scham sind notwendige Begleiterscheinungen der Vergesellschaftung. Die Überschreitung von Tabus ruft Angst und Ekelgefühle hervor, Ausdruck dessen, dass sich der Mensch schuldig, d.h. nicht im Einklang mit der Gemeinschaft fühlt. Scham dient der Aufrechterhaltung von Tabus und der Gewährleistung konformen Verhaltens. Scham- und Ekelgefühle, die einem Erwachsenen als naturgegeben erscheinen, werden mit der Sozialisation eingelernt. Kinder spielen sich lustvoll mit Schmutzigem und Klebrigem. Erst durch die konsequente Zurechtweisung übernimmt das Kind allmählich die Reinlichkeitsbedürfnisse und Peinlichkeitsstandards der Erwachsenen.  

Norbert Elias zeigt in seinen Ausführungen über den Prozess der Zivilisation, wie im Laufe der Zivilisationsbewegung tendenziell alles, was die Menschen an sich selbst als „tierische Charaktere“ empfinden, zurückgedrängt wird. Körpergerüche und -geräusche, die Ausscheidungen, die Geschlechtsfunktionen, Schwangerschaft und Geburt werden tabuisiert, da sie auf die animalische Natur des Menschen verweisen, die es im Interesse des Gemeinschaftslebens zu überwinden gilt. Im Laufe der Neuzeit mit der voranschreitenden Verstädterung und dem dadurch bedingten Zusammenrücken der Menschen wird Selbstkontrolle zunehmend notwendiger und das spontane Ausleben der Affekte wird immer mehr unterbunden. Der Aufstieg des Bürgertums und die damit einhergehende Verallgemeinerung der von Berufsarbeit bestimmten Lebensform erfordern die zunehmende Disziplinierung der Sexualität, die im Zuge der Zivilisierung immer weiter hinter die Kulissen verlegt und auf die Ehe beschränkt wird. Parallel zur Zivilisierung lässt sich nach Elias ein Vorrücken der Schamgrenzen beobachten. Es schwindet die Unbefangenheit der Menschen, sich nackt zu zeigen und ihre Bedürfnisse vor anderen zu verrichten. Das bloße Sprechen über diese Intimitäten wird von einer Fülle von Regelungen und Verboten immer stärker eingeengt. Alle Funktionen, die auf die Naturhaftigkeit des Menschen hinweisen, werden vor anderen soweit wie möglich verborgen. Die mit ihnen verbundenen Scham- und Peinlichkeitsgefühle werden durch genau ausgearbeitete Rituale und verdeckende Sprachformeln bewältigt. 

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Menstruation und Geschlechtsidentität  

Unter den Bedingungen des patriarchalisch hierarchischen Geschlechterverhältnisses ist der Frau die Verantwortung für die Affektkontrolle des Mannes mit auferlegt. Im Interesse der Triebkontrolle muss sie sich verschleiern, ist ihr die Bewahrung der Jungfräulichkeit zur Pflicht gemacht, sind an sie erhöhte Anforderungen an Schönheit und Reinlichkeit gestellt und muss sie sich während der Menstruation absondern. 

Die Berührung mit dem Menstruationsblut löst beim Mann Angst vor Verletzung der persönlichen und geschlechtlichen Integrität (Kastrationsangst) aus. Es droht die Grenzen zwischen dem Selbst und dem Anderen, dem eigenen Geschlecht und dem Weiblichen zu verwischen. Das Verhältnis eines Mannes zur Menstruation gibt Auskunft über das Verhältnis zur seiner eigenen Geschlechtsidentität. Tabuisiert er die Menstruation, tabuisiert er zugleich seine eigenen weiblichen Anteile (Winterer 1992, 107). Die permanente Abgrenzung selbstunsicherer Männer gegen das Weibliche erfolgt mit großem Aufwand an Energie. Frauenfeindliche Witze, penetrant männlich-cooles Verhalten vor allem unter Jugendlichen unterstützen dieses Ringen um Männlichkeit. Burschen/Männer müssen daher auch immer wieder neue Betätigungen, etwa gefährliche Sportarten erfinden, sobald Frauen jene, die ehemals Männern vorbehalten waren, für sich errungen haben. Eines der Ergebnisse einer von einem Mann durchgeführten Studie ist, dass Männer auffallende Informationslücken in Bezug auf die Menstruation aufweisen. Sofern sie überhaupt darüber sprechen, dann im Zusammenhang mit dem PMS oder als Sex-Hindernis. „Das männliche Selbst fühlt sich durch die Andersartigkeit der menstruierenden Frau bedroht, daher erlebt der Mann die Menstruation der Frau als ein negatives Ereignis. Konkreter, er empfindet die Frau dann als insgesamt unberechenbar und unattraktiv. Der Bedrohung begegnet er nun, indem er versucht, die Existenz der Menstruation zu verleugnen und sich von der menstruierenden Frau zu distanzieren. Er erklärt die Menstruation zum Tabu. Dies wiederum hat Auswirkungen auf das Menstruationserleben der Frau. Sie spürt die Ablehnung, die ihr entgegenschlägt.“ (ebd., 105) 

Es ist unübersehbar, dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen großteils eine negative Einstellung zur Menstruation haben. Dieses Phänomen allein darauf zurückzuführen, dass sich darin die Abscheu des anderen Geschlechts spiegelt, erweist sich bei eingehender Betrachtung als Kurzschluss. Die Abneigung gegen die ureigensten weiblichen Körpererscheinungen sind entwicklungspsychologisch auch im Eigenen festzumachen. Mädchen wie Burschen müssen sich im Zuge der Pubertät aus der symbiotischen Beziehung zur Mutter ablösen. Während das für Buben bedeutet, sich gegen das andere Geschlecht abzugrenzen, so ist es für Mädchen die Abgrenzung gegen das eigene Geschlecht. Die Negation des Weiblichen erfolgt bei beiden Geschlechtern im Interesse der Autonomie. Dieser psychische Mechanismus liegt auf individueller so wie auf gesellschaftlicher Ebene der (Selbst)abwertung des Weiblichen zugrunde. Der Menstruation als sichtbarem Zeichen des Frauseins werden daher auch von beiden Geschlechtern ambivalente Gefühle entgegengebracht. Je unsicherer ein Mann in Bezug auf seine Geschlechtsidentität ist, desto stärker wird er alles Weibliche aus sich selbst ausschließen und von sich fern halten müssen. Die Menstruation ist für ihn Symbol der Andersartigkeit der Frau. Im Interesse der Männlichkeit versucht er möglichst jede Vermischung mit dem Weiblichen zu vermeiden. Aber auch Frauen bringen ihrer eigenen Blutung eine Mischung von Interesse und gebanntem Ekel entgegen. Das Menstruationstabu lässt sich als Vermeidungsverhalten erklären. Es ist Schutz vor der Gefahr und dem Wunsch, das Symbioseverbot mit der Mutter zu brechen. 

Die Menarche ist ein einschneidendes Ereignis in der Mutter-Tochter-Beziehung. An diesem Wendepunkt, wo das Mädchen beginnt eine Frau zu werden und sich von der Mutter loszulösen, kommen Gefühle von Konkurrenz und Rivalität zum Tragen. Die Mutter wird an ihre eigene Pubertät erinnert, ihr Erleben der Geschlechtlichkeit entscheidet darüber, wie sehr sie der Tochter ein lustvolles Leben zugesteht, eventuell ein lustvolleres als sie selbst es hatte. Dieser Trennungsprozess ist mit Schmerz verbunden, kann nicht in vollkommener Harmonie vonstatten gehen und bringt notwendigerweise Verletzungen mit sich. In der Zeit der Pubertät werden außerfamiliäre Beziehungen wichtiger. Häufig sind es für Mädchen daher gerade nicht die eigenen Mütter, mit denen sie sich über ihre Intimität im Allgemeinen und die Menstruation im Besonderen austauschen wollen.

Das Nicht-Darüber- Sprechen, insbesondere mit der eigenen Mutter, kann für Mädchen die Funktion erfüllen, sich abzugrenzen. Auf der anderen Seite kann das Leiden an der Menstruation das Ziel verfolgen, schmerzhafte Abgrenzungs- und Trennungsprozesse zu vermeiden. In der „Gemeinsamkeit des Leidens“ werden wechselseitige Rivalitätsgefühle und Aggressionen zwischen Frauen vertuscht. Die Definition der Menstruation als Krankheit verfolgt das Ziel sich mit der Mutter zu versöhnen, da die Rivalität mit ihr Angst und Schmerz hervorruft (Flaake 2001, 43 ff.). 

Die Abscheu gegen die Menstruation ist nur die eine Seite des Tabus, die andere ist die Ehrfurcht, die Angst einflößt. Nach Bruno Bettelheim beruht das Menstruationstabu auf den ambivalenten Gefühlen des Mannes, seinen Neid auf die Menstruation der Frau und ihre Gebärfähigkeit. Der Neid der Buben auf die Menstruation der Mädchen kommt demnach daher, dass diesen von der Natur ein sicheres Zeichen ihres Erwachsenwerdens gegeben ist. Der Brauch der Beschneidung von Buben hat hierin vermutlich seinen Ursprung. Damit erklärt sich auch die Bedeutung der männlichen Initiationsriten. Das Erwachsenwerden des Mannes muss durch eine künstliche Zäsur sichtbar gemacht werden, während der weiblichen Pubertät von Natur aus ein sichtbarer Beginn gesetzt ist (Bettelheim 1982, 32). EthnologInnen interpretieren rituelle Inzisionen (Einschnitte) des Penis, wie sie z.B. bei Völkern in Neuguinea üblich sind, als Nachahmung der Menstruation. 

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Die Pathologisierung des Weiblichen  

Die Menstruation wäre Signifikant einer matriarchalen Ordnung, in einer phallozentrischen Gesellschaft muss sie unsichtbar gemacht werden. Der Phallus ist Signifikant der patriarchalen Ordnung, das Weibliche ist durch die Abwesenheit des Signifikanten definiert. Die Menstruation ist somit Zeichen der Abweichung von der Norm und der Andersartigkeit, die Angst macht. 

Die Menstruation galt als unheilbringend, gefährlich, war unheimlich, noch im 18. Jh. war die Herkunft der Menstruation nicht bekannt, erst im 19. Jh. wird die weibliche Eizelle entdeckt und schließlich auch der Zusammenhang von Menstruation und Eisprung erkannt. Bis dahin kursieren mannigfaltige Spekulationen über die Funktionen der weiblichen Geschlechtsorgane. Hartnäckig hält sich die aus dem Altertum stammende Anschauung, dass der weibliche Körper lediglich das Gefäß sei, in dem aus dem männlichen Samen die Frucht entstünde. Menstruierende Frauen wurden und werden auch heute noch als unberechenbar eingeschätzt. Lange nach der Hexenverfolgung nahm man noch an, dass Frauen während der Menstruation eine besondere Bereitschaft zu kriminellen Taten besäßen. Übererregbarkeit bis zu psychoseartigen Zuständen, aber auch erhöhte Sinnlichkeit und außerordentliche sexuelle Begierde wurden ihr zugeschrieben (Hering 1991, 32f.). Noch im 20. Jh. wird das Menstruationsblut von Ärzten für giftig gehalten, es wird von Beobachtungen berichtet, dass menstruierende Frauen das Zugrundegehen von Blumen und das Verderben von Speisen verursacht hätten. Das Gift wurde auch für die Menstruationsbeschwerden verantwortliche gemacht (ebd., 76). 

Die Grundeinstellung, das Weibliche an sich als Krankheitsherd aufzufassen, zieht sich mit der Gifttheorie der Menstruation und der Medizingeschichte der Hysterie von der Antike bis in die Gegenwart durch. Natürliche Vorgänge wie Geburt und Schwangerschaft sind heute in die Hand der Ärzte gelegt, die normalen Übergänge zwischen den weiblichen Lebensphasen, Menarche und Menopause, werden als therapiebedürftige Zustände definiert. Das weibliche Schönheitsideal ist magersüchtig.

Seit der Antike wurde die Gebärmutter als Auslöserin der Hysterie verantwortlich gemacht. Hystera ist das griechische Wort für Gebärmutter. Etymologisch bedeutet das, dass der Besitz dieses Organs bereits Krankhaftigkeit ist. Die Gebärmutter war quasi als ein Lebewesen, ein Dämon, gedacht, der der Frau innewohnt, ihr seinen Willen aufzwingt und sich in den hysterischen Symptomen äußert. Im Laufe der Jahrhunderte wurden zwei Stränge in der Therapie verfolgt: die Befriedigung des Gebärmutter-Tieres durch Geschlechtsverkehr und Mutterschaft und die grausame Bekämpfung des Dämons vor allem im Rahmen der christlichen Hexenverfolgung. Im Zuge der Aufklärung wandelte sich das gesellschaftliche Bild der besessenen Frau von der Hexe zu dem der modernen Hysterie, deren Ursprung allmählich vom Bauch in den Kopf verlagert wurde. Im 19. Jh. führte der Neurologe Charcot in seinen berühmten Vorlesungen an der Salpetrière einer faszinierten Hörerschaft die hysterischen Anfälle vor, die jetzt als Ausdruck der „Ichlosigkeit“ der Frau interpretiert wurden. Christina von Braun zeigt, wie die jeweilige Symptomatik der Hysterie dem vorherrschenden Denkmuster von weiblicher Normalität entspricht und dieses durch Übertreibung ad absurdum führt. Das gesellschaftlich präformierte Bild von weiblicher Normalität stellt sich als Krankhaftigkeit dar. Frausein ist somit per se als pathologisch definiert. In der Magersucht, als einer Erscheinung der Körperverweigerung und des Ausschlusses weiblicher Sexualität, sieht Christina von Braun die vorläufig letzte Metamorphose der Hysterie. „Durch ihre Symptombildung offenbart die Hysterikerin den Widerspruch, dass weibliche Normalität zugleich weibliche Krankhaftigkeit darstellt.“ (Braun 1990, 12) Das bekannte Phänomen, dass es im Zusammenhang mit Magersucht häufig zu Amenorrhoe kommt, ist ein Indiz dafür, dass es sich hierbei um die Abwehr gegen die eigene weibliche Körperlichkeit handelt. Und auch für die weitverbreiteten Menstruationsbeschwerden gilt entsprechend dem Konzept der Hysterie, dass sich die Norm mit der Krankheit deckt.  

Die jeweiligen Tendenzen im Umgang mit der Menstruation stehen im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Anforderungen an die Geschlechterrollen. War in der Hochkonjunktur der 70er Jahre die aktive und mobile berufstätige Frau gefragt, die sich von der Menstruation nicht beeinträchtigen lässt, so wird heute in Zeiten der Arbeitslosigkeit von feministisch versierten Frauen wieder vermehrt der Rückzug und die Innenschau favorisiert und die Notwendigkeit gesehen, der Menstruation Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen. In dieser Gegenbewegung zeigt sich einerseits, dass die Angleichung an den männlichen Lebensstil spezifischen psychophysischen Gegebenheiten von Frauen nicht gerecht wird. Schwingt das Pendel aber wieder zur anderen Seite aus, besteht die Gefahr, dass wir hinter die Errungenschaften der Frauenbewegungen zurückfallen. 

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Literatur

 

Ausserer, Caroline (2003): Menstruation und weibliche Initiationsriten, Frankfurt/Main  

Bettelheim, Bruno (1982): Symbolische Wunden, Pubertätsriten und der Neid des Mannes, Frankfurt/Main  

Braun, Christina von (1990): Nicht-Ich; Logik, Lügen, Libido, Frankfurt/Main  

Elias, Norbert (1989): Über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt/Main  

Fischer-Homberger, Esther (1979): Krankheit Frau und andere Arbeiten zur Medizingeschichte der Frau, Bern/Stuttgart/Wien

Flaake, Karin (2001): Körper, Sexualität und Geschlecht. Studien zur Adoleszenz junger Frauen, Gießen  

Hering, Sabine, Maierhof, Gudrun (1991): Die unpäßliche Frau. Sozialgeschichte der Menstruation und Hygiene 1860 – 1985, Pfaffenweiler 

Honegger, Claudia (1983): Überlegungen zur Medikalisierung des weiblichen Körpers. In: Imhof, Arthur (Hg.), Leib und Leben in der Geschichte der Neuzeit, Berlin  

Winterer, Georg (1992): Menstruation als Tabu. Eine theoretisch-empirische Untersuchung über das Verhältnis des Mannes zur menstruierenden Frau, Heidelberg  

Winternitz, M. (1920): Die Frau in den indischen Religionen, 1. Teil, Leipzig

 

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